Es ist der 2. September, 2022. Die Besatzung der MY Rolling Swiss II ist in in freudiger Erwartung auf einen spannenden und lehrreichen Törn und setzt sich im Verlaufe des Tages aus unterschiedlichen Richtungen mit Ziel Stralsund in Bewegung. Der Vormarsch gen Norden erfolgt mittels 3 Hauptverkehrsträgern: Luft (Zürich – Hamburg), Auto (Basel – Lübeck) und Zug (Basel – Stralsund).
Die Ankuft in Stralsund erfolgt demnach zeitversetzt aber für das Gros der Crew mit einer letzten Übernachtung auf festem Boden im Hotel Hafenresidenz. Frisch gestärkt wird am Samstagmorgen die Rolling Swiss II übernommen und die ersten Lebensmittel-Besorgungen unter Leitung von Jérôme in die Tat umgesetzt (die Lebensmittelplanung sollte sich am Ende des Törns als äusserst präzise erweisen). In Ermangelung der Anwesenheit des strengen Zahlenmeisters Jonathan, werden nur die ausgewähltesten Lebensmittelprodukte erworben. Nachdem dann endlich auch das letzte Crewmitglied eingetroffen ist, wird der Proviant verstaut und die Kajüten in Beschlag genommen. Wegen der familiären Zusammensetzung der Mannschaft (5 Personen / 3 Familien) ist der Platz mehr als ausreichend, fast schon verschwenderisch.
Aufgrund der Tatsache, dass das vordere WC nicht funktioniert, entscheidet man sich, lediglich den sanitären Bereich Achtern zu benützen – ein Umstand, der aufgrund der jeweils geplanten abendlichen Hafenaufthentalte durchwegs verschmerzbar ist.
Nach dem ersten vorzüglichen Frühstück an Bord der Rolling Swiss II (frischer Fruchtsalat mit Joghurt, Porridge, Gipfeli, Brot etc.) geht es am Sonntag Morgen um 0930 gut genährt endlich los. Wind über 3 Beaufort kommend von Achtern ermöglicht uns bereits zu Beginn das Praktizieren von Agilität und Abweichen von noch am Abend generalstabsmässig geplanten Ablegemanövers. Wir verlassen den Hafen Stralsund ohne selbst Sujet eines Hafenkinos zu werden; fast schon etwas zu abgebrüht wie uns Skipper 1 Emanuel hier in Richtung Freiheit Ostsee steuert.
Auf dem Weg gen Norden Richtung Tagesendziel Hiddensee manövrieren wir uns gekonnt zwischen heimkehrenden Wochenendseglern, Fähren, Abschleppbooten und den vielen, eng gesetzten farblich markanten grün/roten Tonnen der Fahrrinne. Unter Berücksichtung der z.T. äusserst geringen Wassertiefen abseits der Fahrrinne eine nicht ganz alltägliche Spazierfahrt. Das Kennenlernen und Herantasten an die Agilität der Rolling Swiss II, welche uns auf dem gesamten Törn von ihrer gutmütigen Seite präsentiert, birgt unter solchen Bedingungen zusätzlichen Spass.
Gekonnt manövriert uns Skipper 2 Raimond in die enge Box des Yachthafen Vitte/Lange-Ort und wir genehmigen uns unseren ersten obligaten Hafentrunk. Die erste unserer täglichen, überaus offenen und konstruktiven Feedbackrunden wirkt sich positiv auf unseren Team Spirit aus. Danach machen wir uns auf, der Insel und insbesondere dem Hafenörtchen Kloster zu Fuss unsere Aufwartung zu machen. Zurück bleibt Jérôme, welcher sich anerbietet, in Ermangelung geeigneter Restaurants, uns in der Zwischenzeit ein vorzügliches Mahl vorzubereiten (es sollte nicht das Letzte sein und es darf wohl als ausgesprochen grosses Glück für die Moral der gesamten Mannschaft angesehen werden, dass wir einen solch grossartigen Hobbykoch in unseren Reihen hatten).
Dem Mythos des Piraten Störtebeker folgend, entdecken wir in der Tat noch eine Trouvaille im beschaulichen Hafen von Kloster: das Störtebeker Weltmeister-Keller-Bier von anno 2010.
Im Wissen um den am nächsten Tag bevorstehenden langen Schlag nach Rostock geht die Mannschaft zeitig zu Bett. Eine weise Entscheidung, wie sich am Folgetag herausstellt, erreichen wir Rostock nach ausgiebigen Manövern (u.a. MoB, diverse Peilübungen, Knotendrill) erst nach 1700. Dafür hat uns der Hafenmeister den wohl sichersten Platz im Hafen, direkt hinter dem hiesigen Polizeiboot zugewiesen. Während wir uns bei der Hafeneinfahrt noch der Sonderpeilbake Petersdorf widmen, erscheint neben uns eine Scandline Hybrid Ferry, welche mit einem übergrossen Kamin ausgestattet zu sein scheint. Wie sofortige Recherchen von Fabian zu Tage fördern, handelt sich hierbei um ein innovatives Rotorsegel, einem sogenannten Flettner-Rotor auf Basis des Magnus-Effektes zur Reduktion des Dieselverbrauches. Für Gesprächstoff beim abendlichen Steak-Dinner ist gesorgt.
Am nächsten Morgen nutzen wir die Gunst der Stunde eines verkehrsberuhigten Westhafens und üben unter fachkundiger und ruhiger Anleitung von Skipper Emanuel das seitliche An- und Ablegen unter optimalen Windbedingungen, das Eindampfen und allg. Manövrieren im Hafenbereich. Danach heisst es Abschied nehmen von Rostock, mit neuem Kurs Richtung Kühlungsborn. Das geplante Bojenmanöver nördlich von Nienhagen offenbart uns, dass Seekarten eben immer mit Bedacht benutzt werden sollten. Da sich die erwartete Boje erfolgreich versteckt hält, entscheiden wir uns alternativ für ein Ankermanöver, um sich in Ruhe dem vorzüglichen Lunch zu widmen. Dabei entpuppen sich die Bord-internen Funkgeräte in der Tat als überaus hilfreich. Das Ankermanöver gelingt auf Anhieb, und auch Fabian’s Wunsch nach mehr Wellengang kommt die Rolling Swiss II aufgrund ihres enormen Schwojkreises pflichtbewusst nach (im Gegensatz zu einem Segelboot mit geringerer Aufbauten-Wind-Angriffsfläche und entsprechend stabilisierendem Kiel; ein Umstand, der für zukünftige Anker-Manöver einbezogen wird und mit Humor in die Feedbackrunde zur jeweiligen Tagesplanung einfliesst) – es sollte demnach nicht die ruhigste Mittagspause sein, dafür sicherlich eine der unterhaltsamsten.
Kühlungsborn empfängt uns mit offenen Armen. Hilfsbereite Zöllner lassen ihren Kaffee in ihrem Zollboot zurück, um unsere Festmacherleinen mit ungewohnt freudvollem Gesichtsausdruck entgegenzunehmen. Das Interesse an einem etwaigen Bordbesuch scheint dann aber wohl ob unserem charmanten Auftreten zu schwinden. So dinieren wir am Abend stilvoll in der SEA Lounge, an einem extra aus Mallorca importieren Holzplankentisch. Der Andalusische Fischtopf in einem solch spanischen wirkenden Restaurant, dessen Besitzer uns griechisch vorkommt und dann doch italienisch spricht, schmeckt zum Glück dann doch vorzüglich und authentisch.
Mittwoch früh sind wieder Manöver angesagt. Zuerst mit dem Dinghi, welches mit neuem Aussenbordmotor äusserst flink zu Werke geht (obgleich dem kleinen Plastikgefährt mitunter die Puste, resp. die Luft aus dessen Kammern entweicht; vielleicht liegt es aber ja auch einfach an unserem gefühlten Übergewicht nach all der köstlichen Törn-Verpflegung bisher). Danach folgen Buglandungen und durch intensiven Erfahrungsaustausch alternative Anlege-Manöver mit Bugleinen. Wir verlassen Kühlungsborn und nehmen Fahrt auf Richtung Wismar. Es folgt das Highlight des Tages – wir entlocken der Rolling Swiss II ihr volles Potential und testen die Fluggeschwindigkeit von Jérômes Flugdrone. Die «Jagd auf Rolling Swiss II» resultiert in atemberaubenden Filmsequenzen und einem gekonnten, wenngleich adrenalinreichen Landemanöver in Fabian’s Handschuhen (ein weiterer Grund, neben etwaigen nassen Tauen, jederzeit robuste Handschuhe auf einem Törn mitzuführen, selbst wenn keine Segel, resp. deren Schoten und Falle zu bedienen sind). Wir erreichen Wismar nach 1700 und machen hinter einem Fischereiaufsichtsboot fest. Das Törnthema scheint sich nun langsam von «Besuch tradionsreicher Hanse-Städte» auf «abgebrühtes Festmachen hinter deutschen Kontrollorgan-Booten» zu verschieben. Am Abend schmausen wir im Restaurant Kaminstube und schweben auf Wolke 7. Gerne wären wir hier noch länger verweilt, werden aber auch in diesem Esstempel einmal mehr als letzte Gäste mit Charme und Schalk zum Aufbrechen bewogen (vielleicht wäre das zutreffende Törnthema ja doch «wir sind stets die Letzten»).
Aufgrund aufkommenden Wetterumschwungs (Starkregen wird vorausgesagt) verlassen wir Wismar um 0900 mit direktem Kurs Travemünde. Als wir gegen 1030 direkt angefunkt werden, leuchtet das Funkerherz der Crew; die Dreaming Swiss II hat uns erspäht und verfolgt uns mit 2sm Distanz ausserhalb der Wismarer Bucht. Sie verabschiedet sich dann aber alsbald für eigene Manöverübungen mit Tagesziel Wismar. Glücklich über das erfolgreiche Testen der Funkroutinen nehmen wir Kurs westwärts. Nun ist es Rescue Bremen, welche plötzlich an sämtliche Boote in der Umgebung der Lübecker Bucht aufgrund mangelnder Informationen bloss ein vages Mayday Relay durchgibt. Da wir uns in unmittelbarer Umgebung aufhalten, erhöhen auch wir unsere Wachtsamkeit und verfolgen angespannt den weiteren Verlauf der Such- und Rettungsaktion. Glücklicherweise kann das in Not geratene Segelboot, resp. deren Besatzung rasch von ausgelaufenen SAR Patroullien erspäht und geborgen werden. Wir erreichen Travemünde ohne weitere Zwischenfälle und legen in mittlerweile äusserst gut abgestimmter Manier im Passathafen an. Es reicht noch einen letzten ungetrübten Blick auf die vor uns liegende, ViermastStahlbarke Passat zu werfen, bevor der angekündigte Starkregen einsetzt.
Nur durch Nachdruck und persönlichem Engagement von Emanuel erhalten wir noch spontan Einlass zum Restaurant Ahoi, einer Kette des bekannten Fernsehkochs Henssler. Die Currywurst ist durchwegs zu empfehlen, von den dargebotenen Weinen wird hier aber besser Abstand genommen. Unser Entdeckerdrang nach innovativen Cocktailkreationen im Passathafen Travemünde bleibt leider ebenfalls unbelohnt, wenngleich wir beinahe Eintritt zur hiesigen betrieblichen Belegschaftsfeier von SlowDown erhalten.
Wir schreiben Freitag, den 9.9. Es ist dies der letzte Abschnitt unserer Reise und zugleich einer der entspannendsten. Wir grüssen die Passat bei unserem Auslaufen ein letztes Mal und richten unsere Aufmerksamkeit sodann auf die letzte Tankstelle vor Lübeck. Unerwartet starke Strömung der Trave macht unser Anlegemanöver fast noch zunichte, doch die etlichen Leinenwurfübungen zeitigen besonderen Erfolg bei Jérôme und Fabian, womit wir auch diese Hürde erfolgreich meistern. Weiter die Trave hoch, kommen wir an den letzten grossen Frachtschiffen vorbei und geniessen je das Steuer in Händen noch für die paar verbleibenden Augenblicke. Dann erspähen wir unsere Enddestination, die Newport Marina Lübeck, ein äusserst schmucker Hafen mit vorzüglichem Restaurant. Skipper Emanuel lässt nichts mehr anbrennen und wir gleiten mit Grazie an den uns zugewiesenen Liegeplatz. Die Rolling Swiss II wird ein letztes Mal von uns vertäut und ein letzter Hafentrunk zelebriert.
Nach intensivster Schlussreinigung, äusserst effizient und mit Humor geführt durch unseren Skipper 2 Raimond, erkunden wir Lübeck mit Ziel Niederegger. Wir tätigen je einen Grosseinkauf, denn welch süsseres Geschenk für Zuhause als solch zart schmelzenden Marzipan (unbestätigten Gerüchten zufolge sollten es aber nicht alle Marzipan-Stückchen in die Schweiz geschafft haben, sondern fielen z.T. den mannigfaltisten Gefahren der entbehrlichen Reise gen Süden zum Opfer).
Das letzte gemeinsame Törn-Dinner im Restaurant Newport steht denn auch im Zeichen erfolgreicher Premieren: Erster erfolgreich abgeschlossener Skipper 1 Törn, erster Skipper 2 Törn, erster HochseeMotorentörn-Ergänzer, erster Hochseetörn (mit und ohne A Schein). Der Törn darf durchwegs als Paradebeispiel toller Kameradschaft und äusserst lehrreichen Tagen auf See betrachtet werden. Unsere persönlichen Törnziele wurden allesamt erfüllt. Dankbar, dass alles derart gut gegangen ist, übergeben